Bürgerliche Inkonsequenz
Ich habe in der Vergangenheit schon oft Leute sagen hören: Dieser Linkspolitiker ist inkonsequent. Er fährt einen Porsche (oder was auch immer), lebt in Saus und Braus, hängt aber gegen Aussen den Sozi raus. Gemeint wird hier auch: Das ist inkonsequent und somit können wir ihn nicht ernst nehmen. Er hält nicht, was er verspricht. Er lügt.
Solch eine Verurteilung ist sehr dumm, weil es damit im Grunde eine Entwicklung zum Besseren sabotiert. Nur weil man sich etwas gönnen möchte, darf man nicht für ein besseres, sozialeres oder grüneres Leben einstehen? Wenn jeder so denken würde, dann wären die Ressourcen unseres Planeten schon lange verbraucht; dann wäre kein Schutz für Schwache und Minderheitenangehörige vorhanden. Dann wäre das "Recht des Stärkeren" das vorherrschende Prinzip und noch viel mehr Unterdrückung an der Tagesordnung.
Ich selbst stehe dafür ein, dass ich nicht alle idealen Umweltanliegen befolgen kann und trotzdem diese ideell unterstütze. Visionen müssen leben und irgendwann umgesetzt werden können. Wenn sie schon im Kern durch solche Denkweisen sabotiert werden, dann gibt es keine Zukunft. Dann gibt es nur noch: "Nach mir die Sintflut". Und genau diese Haltung kann man oft beobachten. Deswegen braucht es nicht nur die Haltung "inkonsequent" sein zu dürfen, sondern es sollte einleuchtend verpflichtend sein, in diesem Spannungsfeld zu leben.
Genau genommen ist diese Haltung nicht inkonsequent. Sie erscheint nur inkonsequent für Menschen, die sich beeinflussen lassen (oder beeinflussen, abwerten und/oder aufwiegeln wollen - also polarisieren wollen) und sich noch nie genauer überlegt haben wie Vision und Realbezug funktioniert (dass sie verschieden sein dürfen, es sogar immer sind). Eine Vision, oder politische Haltung muss dem Moment nicht entsprechen. Wenn Sie das täte, dann wäre keine Entwicklung möglich. Und es muss nicht so sein, dass man es selbst schon geschafft hat dieser Vision zu entsprechen.
Wieso soll ich mich als Einzelner so beschneiden, dass es weh tut, wenn es die meisten Anderen nicht machen und es auch nicht machen werden? Richtig, weil ich Vorbild sein könnte und weil ich mich mit meiner konsequenten Vorbildrolle zufriedener fühle als mit einer inkonsequenten Haltung. Doch es gibt Vorbildrollen, die nutzen leider wenig, weil es kaum Jemanden bewegt dieser auch zu folgen (das wäre ja eigentlich der Sinn einer Vorbildrolle); die Vorbildrolle wird nur erhöht und angebetet, statt dass ihr gefolgt wird (z.B. Buddha, Jesus etc.). Oder sie wird als Märtyrertum abgetan. Und weil das Bemühen Ideale zu leben meistens auch Entbehrungen mit sich bringt, ist es auf Dauer schwierig diesen Idealen weiter zu folgen, wenn es die meisten Anderen nicht tun. Man ist im Spannungsfeld zwischen Ideal, Zugehörigkeit und Verzicht. Der Verzicht kann einen selbst wirtschaftlich und finanziell sehr einschränken. Es ist nicht jedem gegeben wirtschaftlich mit Verzicht trotzdem erfolgreich zu sein. Die Hürde dazu ist nochmals höher und vor allem im Möglichkeitsspektrum eingeschränkter (es gibt viel weniger Tummelfelder für ein ideales wirtschaftliches Überleben, wie für ein Nichtideales).
Deswegen bin ich dafür, eine gesunde Balance zu finden zwischen ideal möglichem Engagement und wirtschaftlicher und "tragbar-angenehmer" Möglichkeit sein Leben zu gestalten. Die politischen Ideale sollen und müssen unbedingt Platz haben (auch wenn man ihnen nicht in allem entspricht), da ansonsten ein destruktiver Stillstand durch krankhafte Polarisierung die Konsequenz ist. Die Politik muss die nötigen Ideale schlussendlich allgemeingültig umsetzen, sodass jeder verzichten muss und nicht nur der Idealist.